Ausstellungsprojekte
::: Afra-Positionen
:::::: Lilian Moreno-Sánchez und Bernd Nestler

Ausstellung in der Krypta der Basilika St. Ulrich und Afra, Augsburg

"Theologische Bildhermeneutik" contra Gegenwarstkunst

Wie soll Kunst für den sakralen Bereich heute aussehen? Wie kann eine religiöse Thematik dem Betrachter, dem Gläubigen, nahe gebracht werden? Soll man heute noch die tradierten religiösen Sujets, die etablierte christliche Ikonographie zur Darstellung bringen, oder kann es mit den Mitteln der abstrakten Kunst nicht ebenso gut, ja vielleicht sogar besser gelingen den potentiellen Adressatenkreis zu erreichen. Diese Fragen stellen sich insbesondere wenn die Kunstwerke nicht primär auf die großen Themen der christlichen Religion - wie etwa die Passion Christi - verweisen sollen, sondern eine bestimmte Heilige, hier die Heilige Afra, an der Stätte ihrer Verehrung vergegenwärtigen und zur Andacht einladen sollen. Kann in diesem Kontext eine abstrakte Darstellung adäquat sein, um für das gerne bemühte "Kollektive Gedächtnis" (ein Begriff den Maurice Halbwachs geprägt hat) noch verständlich zu sein? Freilich wäre hierbei zu fragen, welches Kollektiv angesprochen werden soll: Die Pfarrgemeinde, die Bürger Augsburgs, alle Christen, die ganze Weltbevölkerung? Im Rahmen des Afra-Jahres werden wir die spannende Gelegenheit haben die Positionen zeitgenössischer Künstler - die zum Teil auch in Augsburg leben - hierzu kennen zu lernen. Lilian Moreno-Sanchez und Bernd Nestler, die Künstler, deren Werke hier in der Krypta zur Aufstellung kamen, haben sich unabhängig voneinander und auf verschiedene Weise mit den Traditionen der christlichen Kunst auseinandergesetzt.

Bernd NestlerLilian Moreno-Sanchez

Lilian Moreno-Sanchez spannt eine Hintergrundfolie aus kostbarem Goldbrokat auf. Diese segmentiert sie durch zwei farblich abgesetzte, verschieden breite, vertikale Stoffstreifen, wodurch der Eindruck eines Triptychons entsteht. Das mittlere Bildfeld ist durch einen glänzenden Goldgrund nochmals deutlich hervorgehoben. Davor hat die Künstlerin die Darstellung einer kostbar - wohl ebenfalls mit Brokat - gekleideten Frau positioniert, welche die mittlere `Bildtafel` dominiert. Hinter ihr ist noch eine weitere Frau erkennbar die einen runden Gegenstand hält. Die zwei Figuren sind ein Fragment aus einem spätgotischen Tafelbild, welches zunächst als Siebdruck auf Stoff übertragen, und anschließend gleichsam mit Goldpunzierungen versehen wurde. Im Kontrast zur `spätgotischen Anmut` sehen wir auf den `Seitentafeln` - vor blau abgesetztem Hintergrund - Skelettfragmente, die technisch produziert wirken. Tatsächlich handelt es sich Ausschnitte aus einem Röntgenbild. Außerdem befinden sich auf beiden Seiten weitere, gezeichnete Fragmente eines weiblichen Beckenknochens. Alle drei Bildfelder enthalten zudem noch Textbänder aus Goldbuchstaben: Von Links Oben diagonal nach unten; horizontal im Mittelfeld; diagonal nach rechts oben ansteigend auf der Rechten Seite. Die Spanischen und Lateinischen Textfragmente verweisen unter anderem auf die Schlechtigkeit des irdischen Lebens (links) und auf die Interdependenz von Körper und Seele (rechts). Die Wechselwirkung von Bildbotschaft und Textbotschaft wie wir sie hier sehen ist ja nun ein Grundprinzip der gotischen Kunst.

Insgesamt gesehen evoziert Lilian Moreno-Sanchez eine Art Triptychon, sie greift auf ein spätgotisches Tafelbild zurück und die Hauptfigur dominiert - gleichsam im Sinne der Bedeutungs-perspektive - die Bildfläche. In der Tat genügt die zur Verfügung stehende Fläche ja gar nicht, die Dargestellte reicht offenbar über die Grenzen der `Mitteltafel` hinaus. Will die Künstlerin damit zum Ausdruck bringen dass sich diese Frau nicht zur Gänze darstellen lässt? Das es sich um eine besondere Frau handeln muß verdeutlicht jedenfalls der Goldgrund - wobei das Stoffmuster wohl den in der gotischen Kunst verwendeten "Pressbrokat" meint -, sowie die `goldpunzierten` Details und die Textbänder mit Goldbuchstaben.

Die Künstlerin imitiert damit aber keineswegs die (spät)gotische Kunst, sondern man könnte vielmehr von einem Prozeß der visuellen Analyse von deren Grundprinzipien, der anschließenden Fragmentierung, und der darauf basierenden Schaffung von etwas gänzlich Neuem sprechen. Etwas Neues, das eine überzeitliche Dimension erhält und dessen vielfältigen Bezüge auch über das Dargestellte hinausweisen. Dafür verwendet sie zeitgenössische Materialien und Techniken, wie etwa den Siebdruck.

Aus der Kombination gotischer und zeitgenössischer Techniken und Gestaltungsprinzipien entsteht so eine Gesamtheit die klar `lesbar` die Entrücktheit, die Erhabenheit der Heiligen Afra stehen kann.
Dagegen geht es nicht um die Zurschaustellung materieller Kostbarkeit, um vordergründige `Rauschgoldästhetik`. Das ganze inhaltliche Aussagepotential offenbart sich bei einer näheren Analyse. So durchziehen Nähte das Bildfeld, die vielleicht als Verweis auf die Vergänglichkeit, als Vanitas - Symbole interpretiert werden können. Die technisch reproduzierten und gezeichneten Skelettfragmente stehen jedenfalls eindeutig für Tod, für ein Martyrium.

Aber für wessen Martyrium? Der Titel des Werkes lautet "La Falta" - der Mangel, das Fehlen. Doch wer oder was fehlt? Unter anderem ist es die Eindeutigkeit der Darstellung. Der Betrachter interpretiert die kostbar gekleidete Frau zusammen mit den Knochenfragmenten, und den Texten, in dieser Umgebung als Bild der Heiligen Afra, aber so simpel, so eindeutig ist nicht. Die demütig und zugleich anmutig geneigte Frau entspricht ja nicht der Afra-Ikonographie. Vielmehr ist es eine andere Sünderin, die seit der Zeit der Altniederländischen Malerei so dargestellt wird: Maria Magdalena (bzw. Maria v. Magdala) Lilian Moreno-Sanchez hat die Darstellung der Maria Magdalena aus einem Altarretabel des sog. Meisters des Bartholomäus-Altars entnommen, welches zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstanden ist. (Heute: National Gallery, London).

Der Maler seinerseits rekurierte schon auf ein älteres Vorbild: auf Rogier van der Weyden, der ein ähnliches Retabel mehr als ein Halbes Jahrhundert vorher geschaffen hatte, und dessen Gesamtkomposition, wie auch Einzelfiguren, in der Folgezeit von unzähligen Künstlern rezipiert wurde. Es handelt sich dabei um die Darstellung einer Kreuzabnahme: Maria Magdalena steht vor dem Kreuz, die Frau hinter ihr hält die Dornenkrone Christi. Die Szene ist in einen goldenen Kastenraum mit illusionistischer gotischer Maßwerkrahmung gesetzt.

Dadurch aber ergibt sich neben dem primären Bezugssystem im Kontext der Afra Verehrung eine weitere Deutungsebene, das Bild weist über das scheinbar Dargestellte hinaus, es kann als allgemeingültiger Verweis auf die Passion und die Errettung durch Christus interpretiert werden - unabhängig von irdischen Verfehlungen. Eine Deutung, die durch das auf Latein - in der traditionellen Sprache der Kirche - abgefasste Textfragment unterstützt wird: "komm, wenn tief im Innern Liebe zu Christus brennt" (Übs. der Künstlerin ).

 


 

Auch Bernd Nestler setzt sich auf vielfältige Weise mit den Traditionen der christlichen Kunst und Ikonographie auseinander. Dies betrifft sowohl das von ihm bevorzugt verwendete Medium, das Glas, als auch seine Darstellung. Die Verwendung von Glas in der christlichen Kunst hat eine lange Geschichte. In diesem Zusammenhang möchte ich nur auf die frühchristliche Glasschale aus dem 4. Jahrhundert mit der Darstellung von Adam und Eva verweisen, die vor einigen Jahren in Augsburg gefunden wurde. Des weiteren ist natürlich an die aufwändigen Glasfenster zu denken welche die gotischen Kirchenräume in beinahe überirdisches Licht tauchen und so eine transzendente Atmosphäre schaffen.

In der Krypta sehen wir nun ein gläsernes Retabel, sowie eine Glasplatte zur Abdeckung des Sarkophags der Heiligen Afra. In der unteren Zone der schlichten, rechteckigen Glasplatte des Retabels befindet sich eine goldene Rechtecksfläche. Der restliche Raum wird fast zur Gänze von der in rot gehaltenen Darstellung der Heiligen eingenommen die von einem gotisierenden Rahmenwerk umgeben ist. Das Bildfeld wird schließlich noch von einer milchig - weißen Rechtecksfläche eingefasst. Kennzeichnend für die Darstellung ist auch hier wieder die körperliche Schönheit, welche hier durch den anmutigen S - Schwung der Figur erzeugt wird. Diese Darstellungsweise ist ein Kennzeichen, daß letztlich auf die Phase des sog. "Schönen bzw. Weichen Stils" (Ende 14. - Mitte 15. Jh.) verweist.

Bernd Nestler glich etliche Afra - Darstellungen miteinander ab um zu einem `Idealtypus`, zu einer `Summe` der Afra- Ikonographie zu gelangen. Man könnte auch von einem ikonographisch verdichteten Bild der Heiligen sprechen. Das Aufbringen, oder besser Einbringen des Motivs erfolgte in einem Verfahren das - neben der materiellen Dauerhaftigkeit - die ästhetischen Qualitäten des Werkes mitbedingt. Die Darstellung befindet sich nämlich nicht auf, also vor der Glasfläche, sondern hinter, bzw. in dem Glas: Sie wurde eingebrannt. Damit wird materiell Distanz, Separierung geschaffen. Zudem ergibt sich durch diese Technik letztlich natürlich eine Verbindung zum Martyrium der Heiligen.

Die volle Wirkung erzielt das Retabel aber erst durch den Strahler dessen Licht in Verbindung mit der roten Farbe wiederum an das Martyrium der Heiligen Afra gemahnt. Dessen Licht vor allem jedoch den Eindruck der Entrücktheit, der Transzendenz, bei gleichzeitiger eindringlicher visueller Präsenz unterstreicht. Das strahlende Bild der Heiligen spiegelt sich schließlich auf der Glasplatte, die Bernd Nestler als Abdeckung ihres Sarkophages geschaffen hat. Dort geht es eine sinnfällige Verbindung mit den poetischen Worten ein, und so laden Bild und Text den Betrachter zur Andacht, zum Gedenken ein.

 


 

Fazit: Den Künstlern gelingt durch den Rekurs auf die Kunst der Gotik ein doppelter Brückenschlag:
Primär vergegenwärtigen sie dem Betrachter die Heilige Afra; zugleich zeigen sie aber auch die lange Tradition ihrer Verehrung auf. Darüber hinaus bietet das gotische Formenrepertoire auch ein ästhetisches Bindeglied zur Stätte ihres Gedenkens und ihrer Verehrung, zur Basilika St. Ulrich und Afra. Am Ende der kleinen Betrachtung sollen Worte aus der Vergangenheit stehen. Es handelt sich dabei um ein abgekürztes Zitat von Abt Suger der sich damit im 12. Jahrhundert auf seine neue, mit wunderbaren Glasfenstern ausgestatte Kirche, auf St. Denis, bezog. Diese Worte hat er als Inschrift an den Portalen der Kirche anbringen lassen. Ich meine aber, diese Worte haben in Anbetracht der Werke der beiden Künstler nichts von ihrer Aktualität verloren.

Nobile claret opus, sed opus quod nobile claret
Clarificet mentes, ut eant per lumina vera
Ad verum lumen, ubi Christus janua vera.

Frei übersetzt : "Das edle Werk leuchtet, edel leuchtend aber soll es die Geister erleuchten, dass Sie hingehen, Durch wahre Lichter zum wahren Licht, dass Christus ist."